Keyenberg im Rheinischen Braunkohlerevier

 

Mit der Genehmigung des Braunkohleplans Garzweiler 2 der damaligen Rheinbraun (jetzt RWE Power) in 1995 wurde dessen Abbaufläche für verbindlich erklärt. Damit war es beschlossene Sache, dass Keyenberg und noch ein paar weitere, nahegelegene Ortschaften umgesiedelt werden müssen. Ab 2023 sollte Keyenberg demnach bergbaulich in Anspruch genommen werden können - das war jedenfalls Stand der Planung in 2016, als ich dort meine ersten Fotos aufnahm. Im Sommer 2021 hingegen wurde eine neue Leitentscheidung getroffen, dass in 2026 erneut eine Prüfung stattfinden soll, ob die Devastierung wirklich notwendig ist. Im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung hieß es dann: "Die im dritten Umsiedlungsabschnitt betroffenen Dörfer im Rheinischen Revier wollen wir erhalten." Und seit Okt. 2022 steht fest, dass Keyenberg und weitere Dörfer tatsächlich bleiben.

 

Keyenberg besteht seit dem neunten Jahrhundert, ist ein ländlich geprägtes Dorf und hatte im Jahr 2016 vor Beginn seiner Umsiedlungsphase ca. 820 Einwohner in 317 Wohngebäuden.

Zu Beginn meiner Dokumentation gibt es dort neben einem Kindergarten, einer Ganztagsschule, einer Polsterei, einer Gaststätte und einigen Geschäften mehrere unter Denkmalschutz stehende Gebäude, u. a. das ehemalige Rittergut „Haus Keyenberg“, und natürlich eine Kirche sowie einen Friedhof.

 

Seit Ende 2016 kann am Umsiedelungsstandort, der auf einem einstigen Rübenacker neben der B57 nördlich von Erkelenz liegt und für den sich die Keyenberger einige Jahre zuvor mit einer 2/3-Mehrheit entschieden haben, mit dem Errichten neuer Häuser begonnen werden. Die dortigen Straßennamen entsprechen denen des originalen Ortes. Solange es den alten Ort noch gibt, tragen die Straßennahmen im neuen Ort einfach den Zusatz „(neu)“.

 

Die in den folgenden Jahren stattfindenden Veränderungen im alten und neuen Keyenberg möchte ich weiterhin dokumentieren, obwohl mir zunehmend klar wird, dass ich mit Fotos diesem enorm komplexen Geschehen allenfalls ansatzweise gerecht werden kann.

 

In erster Linie berührt es mich zu sehen und zu hören, welche Konsequenzen unsere Abhängigkeit von einer stabilen Stromversorgung für manche Menschen hat, die an ihren Heimatorten hängen, vertraute Strukturen hinter sich lassen und Werte aufgeben müssen, die nicht materiell ersetzbar sind. Von der Tragweite dieses bedrückenden Phänomens kann man sich als Nicht-Betroffener wohl nur vage Vorstellungen machen. Und wie geht es den Menschen, die sich schlecht vom alten Ort trennen konnten, nun damit, dass der Aufwand der Umsiedelei letztlich nicht nötig gewesen wäre?

 

Darüber hinaus erstaunt mich einfach sehr, dass der mir unfassbar groß erscheinende Aufwand für die Betreibung solcher Tagebaue und deren Rekultivierung offenbar wirtschaftlich vertretbar ist. Da müssen ja nicht nur Umsiedelungen und damit einhergehende Wertevernichtungen kompensiert werden. Auch die großflächige Absenkung des Grundwassers z. B. und das „Flicken“ der Auswirkungen davon auf angrenzende Gebiete sowie Abriss und Wiederaufbau von Autobahnteilstücken müssen finanziert werden.

 

Und ja, mir ist bewusst, dass

  • es viele Umsiedler gibt, die schlussendlich gut mit der Veränderung ihrer Wohnsituation zurechtkommen,
  • Menschen anderswo von Windkrafträdern umzingelt werden, von Bergsenkungen betroffen sind oder ein Fessenheim vor der Haustür stehen haben (und es sowieso noch ganz viele andere, schlimme Dinge auf der Welt gibt),
  • ich bei meinem digital betriebenen Hobby auch Strom verbrauche und für Spaß an Bewegung vielleicht kein Pedelec bräuchte.

 

Außerdem fasziniert mich auch immer wieder der Blick in den Tagebau. Am Ende wird nach ursprünglichem Stand der Planung ein „Loch“ übrig bleiben, das ungefähr die Größe des Chiemsees haben und max. 180 m tief sein wird. Die Befüllung mit Rheinwasser soll 2045 beginnen und ca. 40 Jahre andauern. Diese Berechnung stammt allerdings aus Zeiten, als unsere Sommer noch nicht so trocken waren.

 

 

Das nachfolgende Bild ist von RWE und zeigt Keyenberg im April 2018, der Tagebau nähert sich von Südosten.