April.

Im Wäldchen an der Keyenberger Motte werden seit letztem Herbst fleißig Baumhäuser gebaut. Die Bewegung „Unser aller Wald!“ wird dabei auch von einigen Bewohnern Keyenbergs unterstützt. Besonders stolz sind die Aktivisten auf ihren beeindruckenden Turm, ein Baumhaus mit drei Etagen.

 

Die Anzahl der Bewohner im Ort sinkt weiterhin, in manchen Gärten wurde mit der Rodung von großen Bäumen begonnen, viele rückseitige Fenster und Türen sind zugemauert.

 

Die politische Lage bleibt spannend. Im März gab es eine neue Leitentscheidung, wonach der Abriss von Keyenberg um zwei Jahre verschoben wird (auf 2026) mit der Maßgabe, zuvor erneut eine Leitentscheidung zu treffen und im Zuge dessen zu prüfen, ob ein Abriss dann tatsächlich immer noch notwendig erscheint. Die Zitterpartie für alle Beteiligten geht also weiter.

 

Ebenfalls im März - also mitten in der Pandemie mit all ihren Kontaktbeschränkungen - und noch vor der Leitentscheidung hätte, wenn es nach dem Willen des Keyenberger Pfarrgemeinderates gegangen wäre, bereits die Kirche entwidmet werden sollen, um einige Glocken der alten Kirche in den Kapellenneubau des Ersatzortes zu überführen. Die Profanierung war ursprünglich erst für Ende des Jahres geplant und der Priesterrat des Bistums Aachen hat dem Antrag auf vorzeitige Entwidmung nicht zugestimmt. Diese Entscheidung erfolgte u. a. mit Hinweis darauf, dass das Land seine Energiepolitik im Licht des Pariser Klimavertrages nochmals überdenken muss. Daraufhin hat wiederum der Pfarrgemeinderat entschieden, die Messen zukünftig ausschließlich im Festzelt in Keyenberg II abzuhalten und nicht mehr im Wechsel zwischen Kirchengebäude und Festzelt. Begründet wurde dies mit der Sorge vor dem Diebstahl wichtiger Kirchenuten­silien, die nun an einem geheimen Ort gelagert sind, wegen zunehmendem Vandalismus im alten Ort.

 

 

 Einige Impressionen aus der Ersatzsiedlung:

 

 

Juli.

Das Phänomen von drei nebeneinanderstehenden und noch bewohnten Häusern gibt es in Keyenberg nur noch an zwei Stellen. Und Hannis Blumenlädchen am Friedhof ist seit Mai geschlossen.

 

Endlich ergibt sich mal die Gelegenheit, die Fassade des Winzenhofes frontal ohne parkende Autos zu fotografieren. Trotz kleiner Brennweite passt sie nicht komplett aufs Bild, weil ich wegen der schmalen Straße nicht weit genug zurücktreten kann. Drei Generationen und einige Tiere leben in dem Vierkanthof auf einem 8.000 m² großen Grundstück. Die Familie hat als Alternative zunächst ein 1.000 m²-Grundstück im Ersatzort angeboten bekommen und als dies keinerlei Kooperationsbereitschaft auslöste, wurde das Angebot auf 2.000 m² erhöht. Aber auch das wird für ein neues Zuhause mit Beibehaltung des derzeitigen Wohnmodells nicht als adäquater Ersatz angesehen.

 

Es hieß zunächst, dass RWE leerstehenden Wohnraum u. a. in Keyenberg als Notunterkunft für Ahrtal-Flutopfer anbieten wolle, dieses Angebot wurde aber dann doch auf den Ort Kuckum beschränkt. In Keyenberg werden stattdessen weiterhin rückwärtige Türen und Fenster zugemauert und verlassene Häuser sehr zügig von Strom- und Wasserversorgung getrennt.

 

In einem Gespräch mit der Landwirtin aus der Dorfmitte erfahre ich, dass ihr Gänsepärchen immer noch dasselbe ist wie das, das ich bei meinem ersten Spaziergang durch Keyenberg im Sommer 2016 schon fotografiert hatte. Für die Planung des Wegzuges will die Familie sich noch Zeit lassen, denn nach einer neuen Leitentscheidung wird in 2026 erneut überprüft, ob der Ort zur Sicherstellung unserer Energieversorgung tatsächlich abgebaggert werden muss.

In Keyenberg II treffe ich die ehemalige Besitzerin des Blumenlädchens Hanni. Sie vermisst zwar ihren früheren Garten noch sehr, ist aber ausgesprochen herzlich und freudig in der neuen Dorfgemeinschaft begrüßt worden. Sie ist selbst überrascht darüber, dass keiner der Keyenberger Umsiedler mehr in den alten Ort zurückziehen möchte, falls das eines Tages eventuell möglich werden sollte und ungeachtet der damit einhergehenden finanziellen Unwägbarkeiten. Außerdem könne man ein Haus, das mehrere Jahre leer stand, weder gelüftet noch beheizt wurde und dessen Tür- und Fensteröffnungen zugemauert wurden, nicht einfach wieder zugänglich machen, ein bisschen renovieren und dort einziehen. Damit hat sie vermutlich recht.

 

 

Oktober.

Bevor ich nach Keyenberg fahre, lasse ich mir auf dem Tagebau-Randschutzwall den dort immer reichlich vorhandenen Wind um die Nase wehen. Dass der Wind dort häufig kräftiger weht als anderswo, ist übrigens bei Planung der A44n, die auf wiederaufgeschüttetem Terrain errichtet wurde, offenbar nicht berücksichtigt worden. Wenige Tage zuvor musste das Garzweiler2-Teilstück zum wiederholten Mal vorsorglich gesperrt werden, denn in nicht einmal drei Jahren seit Eröffnung haben sich dort 25 Wind-Unfälle ereignet, zum Glück bisher ohne Personenschäden. Immer wieder wurden ganze LKW durch unerwartete Böen quer über die Fahrbahn gedrückt oder es gab wegen des Staubs einen schmierigen Belag auf der Fahrbahn bzw. schwierige Sichtverhältnisse.

 

Die wenigen Gräber, die es auf dem Keyenberger Friedhof noch gibt, lassen erkennen, welche Familien nicht wegziehen möchten. Dazu gehören auch die Eigentümer von Haus Keyenberg. Über deren Einstellung zum Tagebau ist im Internet nichts zu finden, aber einer ihrer Angestellten erzählt mir, dass sie keinerlei Umzugsabsichten verfolgen und den Herrensitz nach wie vor sehr hochwertig instand halten lassen.

Angesichts der vielen zugemauerten, rückwärtigen Fenster und Türen freue ich mich darüber, dass ein "Schwedenhaus", das mir sehr gut gefällt, seit dem Auszug seiner einstigen Bewohner trotz des fehlenden Schutzes nun schon seit mehreren Monaten ziemlich unversehrt geblieben ist.

 

Es herrscht vergleichsweise viel Verkehr im Dorf. Nur drei km entfernt, im Rest von Lützerath ist eine Demo geplant anlässlich der bevorstehenden Zwangsenteignung eines dort beheimateten Landwirtes, der sich nicht mit minderwertigeren Böden oder einem Hof in Brandenburg abfinden lassen möchte. Der alte Keyenberger Fußballplatz, der sich neben dem Wäldchen mit den Baumhäusern der Aktivisten von „Unser aller Wald!“ befindet, dient nun auch als deren Camp.

Die fußballerischen Aktivitäten dagegen finden seit September auf den zwei Rasenplätzen im neuen Sportpark mit Sportlerheim statt, gleich neben dem neuen Feuerwehrgerätehaus.

 

 

Dezember.

Die Kirche war am Samstag vor dem 1. Advent für einige Stunden zum letzten Mal für die Öffentlichkeit geöffnet und wurde tags darauf entwidmet . Anders als bei früheren Profanierungen zugunsten des Tagebaus gab es dieses Mal keinen Abschiedsgottesdienst. Das wäre wegen der Pandemie aus meiner Sicht wohl auch nicht wirklich ratsam gewesen, aber für einige Personen war dies natürlich extrem enttäuschend. Und in Keyenberg hätten dazu nichtmals mehr die Glocken läuten können, denn die wurden ja zur Überraschung der noch in Keyenberg verbliebenen Einwohner ohne Vorankündigung eines Morgens im September ausgebaut und einen Monat später in der neuen Kapelle im Ersatzort installiert.

 

Für die Zukunft von Keyenberg gibt es seit Bekanntwerden des Koalitionsvertrages der neuen Regierung vermutlich eine entscheidende Wendung. Darin heißt es nämlich: "Die im dritten Umsiedlungsabschnitt betroffenen Dörfer im Rheinischen Revier wollen wir erhalten."